28.08.2023 | In „Das Johannesevangelium – Eine textlich-strukturelle Auslegung“ | von Freddy Baum
{24} Jesus, das Licht der Welt (Joh. 8,12-30)
Aber auch wenn ich richte, so ist mein Gericht wahr; denn ich bin nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat. (SLT 1951)
Die Erklärung beruht auf Versen des Johannesevangeliums, die mit Joh. 8,16 textlich-strukturell und inhaltlich zusammenhängen.
Weil Jesus Christus untrennbar mit dem ihn sendenden himmlischen Vater verbunden ist und das tut, was Gott gefällt, richtet er in Wahrheit, denn sein Rechtsspruch ist das Urteil des gerechten und wahrhaftigen Gottes.
Die von den Juden entsandten Priester und Leviten richten hingegen nach dem Fleisch, denn ihnen fehlt der zweite Zeuge, nämlich die geistbewirkte Verbindung zum Vater, der die „Wahrheit“ in Person ist.
Da sie nicht entsandt wurden, sind in Wirklichkeit sie allein. Tatsächlich sind sie es, die über sich selbst in Unwahrheit Zeugnis ablegen, nicht der Herr.
Jesus wurde von ihnen zwar äußerlich allein gelassen, aber tatsächlich war er niemals allein, selbst dann nicht, als es ihm so vorkam :Mk. 15,34:.
Joh. 7,51 [D9] <Joh. 8,7*> Joh. 8,16 [D9]
Joh. 7,51 Nicht doch richtet unser d Gesetz den Menschen, so man nicht vorher hörte´ und zur ´Kenntnis nahm´, was er tut. (9)
Joh. 8,16 Und so ich, ja ich, aber richte´, so ist das, ja d mein Richten wahr, da ich nicht allein bin, sondern ich bin's und der mich Sendende. (9)
Das vorliegende Verspaar stellt eines der eindrücklichsten Beweise dafür dar, dass Joh. 7,53-8,11 unbedingt zum Wort Gottes zu rechnen ist (siehe u. a. auch die Erklärung zu Joh. 7,44-46*Joh. 8,20), denn Joh. 7,51 und Joh. 8,16 liegen jeweils exakt neun Verse von ihrem gemeinsamen Spiegelzentrum, Joh. 8,7, entfernt, das das Herz des Berichts über die zu Jesus gebrachte Ehebrecherin bildet.
In dieser Geschichte geht es um den Konflikt des Richtens nach dem von Moses gebotenen Gesetz des Alten Bundes mit dem Richten nach dem Wort des den Sohn sendenden Gott-Vaters.
Der springende Punkt hierbei ist, dass Joh. 7,51*Joh. 8,16 eben diesen Gegensatz des unterschiedlichen Richtens zum Thema hat, sodass Joh. 8,7 das Zentrum des gesamten Textes von Joh. 7,51-Joh. 8,16 sein muss.
(Natürlich ist Joh. 8,7 darüber hinaus die textliche Mitte der gesamten vorliegenden Inklusion.)
Wer Joh. 7,53-Joh. 8,11 aus der Schrift streicht, weil dieser Bericht nicht in den ältesten Textzeugen des Wortes Gottes enthalten ist, zerstört den vollkommenen textlichen Aufbau der heiligen Schrift. Er verkennt die strukturelle Integrität dieses Textabschnitts und seine essentielle Bedeutung im Gesamtkontext der Bibel.
In Joh. 7,51 geht es um das von der Jerusalemer Geistlichkeit geplante Gericht an Jesus (bzw. um das ihn betreffende „Vor-Urteil“ der Juden), das nach dem Einwand von Nikodemus nur dann rechtens ist, wenn der zu beurteilende Mensch vorher gehört wird und man zur Kenntnis nimmt, was er gegen die Anklage vorbringt.
Das Gericht der Pharisäerschaft war laut Joh. 8,15 ein Gericht „nach dem Fleisch“.
Wie Joh. 7,24 zeigt, ist es ein ungerechtes Urteil nach dem äußeren Erscheinungsbild („Augen-scheinliches“). Demgegenüber steht das wahre Gericht des Sohnes Gottes :Joh. 8,13+14:.
Hieraus lässt sich ableiten, dass das Urteil der Pseudogeistlichkeit unwahr ist.
Ironischerweise stufte aber ausgerechnet dieses „Babylon“ das wahre Zeugnis Jesu als unwahr ein :Joh. 8,13:.
Wir haben hier also eine spiegelgleiche Ordnung zweier grundlegend verschiedener Formen des Gerichts und der Einschätzung seines jeweiligen Wahrheitsgehaltes durch die Gegenseite.
Die Offenlegung des wahren Gerichts erfolgt aber im Zentrum des Geschehens, nämlich in Joh. 8,7, in der Mitte der vorliegenden D-Form.
Hier bewies Jesus öffentlich, wer die tatsächliche Hure ist. Er zeigte die Unwahrheit der Satanischen (Anklägerischen) auf und offenbarte das wahre, zum höheren, bleibenden Leben führende Gnadenwort Gottes.
Anders als das menschzentrierte, d. h. das sich am äußeren Tun des Menschen orientierende Gericht des irdischen Jerusalem :Joh. 7,51; Joh. 8,4+5:, ist das Urteil Jesu gottorientiert, d. h. sein Sprechen richtet sich nach dem Willen des Vaters aus, sodass „sein“ Gericht völlig mit dem ihn entsendenden zweiten, himmlischen Zeugen übereinstimmt.
(Dieses Gericht setzt auch das Zeugnis zweier Menschen voraus :Joh. 8,17:. Den irdischen Zeugen stellt Jesus in Joh. 8,18+19 sich selbst und den himmlischen Vater gegenüber. Die Betonung des Begriffs „Mensch“ in Joh. 7,51 weist ebenfalls in dieselbe Richtung.)
Hier liegt also der Gegensatz zwischen dem Richten des Gesetzes und dem Richten Jesu vor :Joh. 1,17:.
Laut Joh. 7,51 ist das Gesetz der personifizierte Richter des Menschen. (Der Mensch ist im engsten Sinne des Begriffs Jesus Christus :Joh. 19,5:.)
Somit stellt es aber ein wesenhaftes „Anti“ zum in Einheit mit dem Gott-Vater richtenden Sohn dar. Es ist offensichtlich das Anti-Wort im Vergleich zum Gnadenwort Jesu, der die anklägerische Hure Babylon in der Endzeit nach ihrem eigenen Rechtsmaßstab, gnadenlos richten wird, denn wer keine Gnade kennt, dem wird auch keine Gnade gewährt :Mt. 18,34:.
Joh. 7,51*Joh. 8,16 beschreibt den Gegensatz zwischen dem Richten an Jesus und dem Gericht durch ihn.
Joh. 7,53-Joh. 8,11 zeigt wo sich der Konflikt dieser beiden Arten des Gerichts entzündet, nämlich an den von Jesus geheiligten Sündern, die er davor rettet, durch die Gesetzischen gerichtet zu werden.
Der „Kampfplatz“, in dem gerungen wird, ist der Kosmos, also die „Jerusalem-Welt“. Die Mitsieger des Herrn sind seine aus Babylon Erlösten.
Der gerechte und wahre Richter siegt für sie nicht nur de jure :Joh. 8,7:, sondern auch de facto.
Er siegt über solche, die ihn und seine Leibesglieder ungerecht und unwahrhaftig richten :Röm. 8,33:.
Er triumphiert über den Babylon-Kosmos :Offb. 19,11ff:.
Im Kapitel "Das Herz des Johannesevangeliums" wird auf den Vorwurf des Antisemitismus und Antijudaismus eingegangen.