06.11.2023 | In „Das Johannesevangelium – Eine textlich-strukturelle Auslegung“ | von Freddy Baum
{29} Jesus erweckt Lazarus zum Leben (Teil 1/2: Joh. 11,1-35)
Und als sie das gesagt hatte, ging sie weg und rief ihre Schwester Maria heimlich und sprach: Der Meister ist da und ruft dich! (SLT 1951)
Die Erklärung beruht auf Versen des Johannesevangeliums, die mit Joh. 11,28 textlich-strukturell und inhaltlich zusammenhängen.
Die Maria rufende Martha richtete ihr aus, dass sie der Herr rufen ließ.
Martha hat dem „Schaf“ Maria gegenüber die vermittelnde Funktion des „Türsehers“ inne, der dem idealen Hirten öffnet, sodass dieser in den Hof der Schafe hineinkommen kann, um sie bei ihrem Namen zu rufen und sie von dort hinauszuführen.
Tatsächlich hörte Maria die Stimme ihres Hirten. Jesus sprach und sie wurde schnell aufgerichtet und kam zu ihm.
Dass Martha Maria sagte, der Lehrer lasse sie rufen, entspricht dem Hinweis Jesu, dass seine Jünger ihn zurecht „Lehrer“ und „Herr“ nennen (wörtlich: „rufen“).
Die persönliche „Be-rufung“ der Schafe Jesu wird von ihnen damit beantwortet, dass sie den idealen Hirten zu ihrem „Lehrer“ und „Herrn“ erwählen. Ihre individuelle (namentliche) Zuordnung bezeugen sie, indem sie zu Jesus herbeirufen. Wer ihm nachfolgt, bestätigt seine Berufung.
Aus der strukturellen Verbindung von Joh. 11,28 zu Joh. 10,3 lässt sich ableiten, dass der an die um den Lazarus trauernde Maria gerichtete Ruf Jesu darin bestand, ihren Namen zu nennen.
Dies wird in Joh. 20,16 darin bestätigt, dass der auferstandene Herr einer anderen Maria, nämlich Maria Magdalena, ihren Namen zurief, sodass auch diese Trauernde die wesenhafte Auferstehung, d. h. das Leben in Person, erkannte und darin getröstet wurde, denn allein der wahre Hirte kennt die Namen seiner Schafe.
Der Umstand, dass Martha Maria ausrichtete, dass sie der Lehrer ruft, entspricht in Joh. 20,16 dem Ausruf der gewendeten Maria Magdalena: „Lehrer!“
In beiden Berichten spielt das Schluchzen der trauernden Marias eine große Rolle :Joh. 11,31+33; Joh. 20,11+13+15:.
Es gibt hier viele weitere Parallelen, z. B. die Frage nach dem Beisetzungsort von Lazarus bzw. Jesu :Joh. 11,34; Joh. 20,13+15:, das Signalwort „schnell“ :Joh. 11,29+31; Joh. 20,4; Offb. 1,1; Offb. 22,20:, der Umstand, dass Jesus noch nicht zu einem bestimmten Ort gekommen war :Joh. 11,30; Joh. 20,17: oder die Füße des Herrn :Joh. 11,32; Joh. 20,12:.
Im Kapitel "Das Herz des Johannesevangeliums" wird auf den Vorwurf des Antisemitismus und Antijudaismus eingegangen.