05.12.2023 | In „Das Johannesevangelium – Eine textlich-strukturelle Auslegung“ | von Freddy Baum
{30} Maria salbt Jesus (Joh. 11,55-Joh. 12,11)
Es erfuhr nun eine große Menge der Juden, daß er dort sei; und sie kamen nicht allein um Jesu willen, sondern auch um Lazarus zu sehen, den er von den Toten auferweckt hatte. (SLT 1951)
Die Erklärung beruht auf Versen des Johannesevangeliums, die mit Joh. 12,9 textlich-strukturell und inhaltlich zusammenhängen.
Am 9. Nisan 32 n. Chr. kam eine vielzählige Menge sowohl nach Bethanien als auch nach Jerusalem, um Jesus wegen seines großen Zeichens der Erweckung des Lazarus zu sehen.
In Bethanien wollten die Menschen auch den auferstandenen Lazarus zu Gesicht bekommen. In Jerusalem waren es sogar Hellenen, die von Jesus gehört hatten und ihn zu sehen wünschten.
In Lazarus' Erweckung nahmen sehr viele das bis dahin größte Werk Jesu wahr, sodass diejenigen, die den Sohn Gottes dennoch ablehnten, keinen Grund für ihren Hass ihm und dem Vater gegenüber hatten.
Die Ungläubigen konnten ihre bleibende Sünde nicht weiter rechtfertigen.
Da viele Menschen erfuhren, dass sich Jesus in Bethanien aufhielt, strömten sie seinetwegen dorthin und glaubten an ihn, wohingegen Jesus erkannte, dass solche Menschen ihm von Gott gegeben wurden, die glaubten, dass er ihn geschickt hat :Joh. 17,8:.
Das von der Menge bestaunte große Werk Jesu an Lazarus entspricht dem Wunder der Heilung des Lahmen (Schwachen) Bethesdas, das Jesus als das eine Werk bezeichnete, das von den Menschen bewundert wurde.
Die vom Herrn an einem Sabbat bewirkte Heilung des schwachen Menschen Bethesdas gleicht der Erweckung des ganzen Menschen Lazarus in Bethanien, dessen Name „Erschlaffter“ bedeutet.
In dieser Analogie fällt auf, dass einerseits Jesus und Lazarus ein von den Menschen zu sehendes „Paar“ bilden, der Herr nach der Heilung des Schwachen hingegen davon spricht, dass die Menschen ihn sehen und er seine Herkunft kennt und sie denjenigen, der ihn schickt nicht wahrnehmen.
(Dies ist auch insofern klar, weil der Vater den Sohn erweckte, sodass Jesus Gott gegenüber die Stellung einnimmt, die Lazarus in Bezug auf Jesus hat, denn der Sohn ließ seinen Freund erstehen.)
In beiden Fällen glaubten viele wegen der Zeichen, die Jesu tat. Dies war das Ziel des Herrn, denn seine Taten waren das Werk des Gott-Vaters, sodass man durch sie zur Erkenntnis der Wesenseinheit Jesu mit Gott gelangen konnte, der ihn geschickt hatte.
(In der diesbezüglichen Analogie wird diese Übereinstimmung des Sohnes mit dem Vater in Lazarus' Freundschaftsverhältnis zu Jesus dargestellt.)
Beide Ereignisse (Lazarus‘ Erweckung und die Heilung des Lahmen) sind inhaltlich eng mit der Auferstehung Jesu verknüpft.
Z. B. gleichen die Kunde der Auferstehung des Lazarus und der damit in Zusammenhang stehende Zuwachs an Glauben der zu glaubenden „Sabbatkunde“ Maria Magdalenas, Jesus sei auferstanden und er werde zu seinem Vater hinaufsteigen.
Sehr wahrscheinlich war die andere Maria, Lazarus' Schwester, dementsprechend rege an der Verbreitung der frohen Botschaft des Lebens ihres Bruders beteiligt.
Joh. 12,1+2 steht Joh. 12,9 inhaltlich gegenüber. (Siehe hierzu Joh. 11,55-Joh. 12,11.)
Die Erwähnung, dass der von Jesus erweckte Lazarus anwesend war, als der Herr nach Bethanien kam :Joh. 12,1:, spiegelt sich in Joh. 12,9 wider, da eine vielzählige Menge ebenfalls zu Lazarus‘ Haus kam, um
u. a. den aus den Toten erweckten Freund Jesu zu sehen.
Joh. 4,30 [D202] <Joh. 8,7*> Joh. 12,9 [D201]
Joh. 4,30 Daher ´kamen sie heraus aus der Stadt und kamen zu ihm. (202)
Joh. 12,9 Es hatte daher zur ´Kenntnis genommen die vielzählige Menge aus den Juden, dass er dort ist, und sie ´kamen nicht wegen des JESuU´S allein, sondern auf dass sie auch den LA´ŞAROS ´gewahren´, wden er aus Erstorbenen erweckt hatte. (201)
In Joh. 4,30*Joh. 12,9 geht es um das Hinzukommen zu Jesus wegen seiner Zeichenvollmacht.
Dieses Zeichen bestand in Joh. 4 darin, dass der Herr der samaritischen Frau „alles sagte, was sie getan“ :Joh. 4,17+18+29:, und die Sünderin begriff später durch das (prophetische) Wort Jesu, dass er der Christus ist :Joh. 4,25+26:. Sie brachte mehrere Menschen zu ihm hinaus :Joh. 4,29+30:.
Interessanterweise führte die Samariterin ihre Mitbewohner denselben Weg, den auch sie selbst gegangen war, d. h. sie berichtete ihnen zuerst vom Zeichen Jesu, von seiner prophetischen Gabe :Joh. 4,19+29:, und ließ ihnen dann den Freiraum, Jesus als den Messias zu erkennen :Joh. 4,29+42:.
Dem Glauben auf der Basis eines Wunders folgte also auch bei ihnen der höhere Glaube auf der Grundlage des Wortes Jesu.
In Joh. 12,9 kam ebenfalls eine Vielzahl von Menschen zu Jesus, nämlich wegen des Zeichens der Auferweckung Lazarus'.
Das Volk wollte mit eigenen Augen sehen, was Jesus getan hatte.
Auch hier folgte der „Zeichengläubigkeit“ der Glaube an Jesus, sodass viele Juden den Lehrbereich Babylon-Jerusalems seinetwegen verließen :Joh. 12,11:. Dies taten sie innerlich, selbst, wenn sie physisch in Jerusalem blieben.
Im textlichen Zentrum von Joh. 4,30*Joh. 12,9 geschah Ähnliches, denn laut Joh. 8,1+2 kam alles Volk zu Jesus, als er in der Jerusalemer Weihestätte lehrte.
Wenn man weiß, dass die Stadt Sichar in Joh. 4 ein Bild auf das irdische Babylon-Jerusalem ist und begreift, dass das Hinauskommen aus dieser Stadt ein Herzukommen zum wesenhaften Tempel Gottes, zu Jesus Christus, darstellt, dann versteht man auch, von wo „all das Volk“ in Joh. 8,2 zu Jesus kam.
Wir haben also in Joh. 4,30 <Joh.8,7*> Joh. 12,9 die Gemeinsamkeit des Herzukommens zum wesenhaften Licht der Welt, wobei die finstere Hurenstadt Babylon verlassen wird.
Die (große) Stadt :Offb. 11,8: und Christus sind in Joh. 4,30 zwei gegensätzliche geistliche Pole.
Man kann entweder der großen Babylon angehören oder zu Jesus hinauskommen. Dazwischen gibt es nichts.
(Ähnlicher Weise bleibt man entweder, als ein Begnadigter, bei Jesus oder man zieht, als ein Sünder, mit den selbstgerechten Gesetzischen der Pseudogeistlichkeit ab :Joh. 8,9+10:.)
Wer sich für Jesus entscheidet, nach draußen geführt wird, von der großen Hure wegflieht, muss damit rechnen, von „Lady“ Babylon gehasst, verfolgt, angeklagt und getötet zu werden, denn sie duldet das Hinauskommen aus ihr, d. h. ihre Zurückweisung, nicht, wie in der Josef-Geschichte sehr anschaulich in 1.Mose 39,13-19 dargestellt wird.
Ironischerweise vollzog sich dieser Prozess in Joh. 8 ausgerechnet im Herzen Babylon-Jerusalems, nämlich auf dem Tempelberg, in der Weihestätte der großen Hure!
Die Menschen kamen nicht zum Jerusalemer Tempel, sondern zum wesenhaften Tempel Gottes, der sich provokanter Weise im Bereich der irdischen Weihestätte aufhielt.
Sie begriffen, wo es notwendig war, Gott im Geist der Wahrheit anzubeten :Joh. 4,20-24:. Sie kannten den wahren Tempel des Gott-Vaters: Jesus Christus. Sie kamen zur wahren Mitte.
Die große Hure Babylon konnte und wollte die Erosion ihrer Macht nicht dulden und beschloss, Christus zusammen mit dem „Zeichen“, das er getan hatte (Lazarus) zu beseitigen.
Die Ehebrecherin in Joh. 8 entspricht in dieser Hinsicht Lazarus.
Ihre Steinigung sollte mit der Anklage und Beseitigung Jesu einhergehen :Joh. 8,6:.
Dasselbe gilt für Lazarus und den Herrn :Joh. 11,53; Joh. 12,10:.
(In Joh. 4 fehlt dieses Reaktion Babylons auf das Hinzukommen der Menschen zu Jesus.)
Lazarus gleicht aber auch der Samariterin in Joh. 4, denn das Hinauskommen aus Babylon-Sichar-Jerusalem ist gewissermaßen ein Auferstehungsgeschehen zum höheren Leben aus Gnade, ein Hinausgehen nach draußen, heraus aus der irdischen Todesgruft des Gesetzes und Gerichts :Joh. 11,44:.
Der vom Gott-Vater gegebene Glauben in den Herzen derer, die aus Babylon hinauskamen siegte wegen seines von Jesus gesprochenen himmlischen Gnadenwortes, das die Menschen erkennen ließ, wer der tatsächliche Erlöser und Lebensgeber der Welt ist.
Im Kapitel "Das Herz des Johannesevangeliums" wird auf den Vorwurf des Antisemitismus und Antijudaismus eingegangen.